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Welche Zäumung, wann und warum?

 

Die liebe Madeleine hat sich über mein Gästebuch einen Artikel zum Thema Anlehnung bei gebissloser Zäumung gewünscht. Solchen Wünschen komme ich grundsätzlich gerne nach, nur gibt es hier zwei Probleme:
1. Ich reite nicht viel gebisslos und habe somit zu wenig praktische Erfahrung um einen solchen Artikel verfassen zu können
2. Es gibt so viele verschiedene Varianten der gebisslosen Zäumung, dass eine allgemeingültige Aussage gar nicht möglich ist
Allerdings möchte ich insoweit noch einmal auf meinen Artikel (vom 19.10.2017) zur Anlehnung hinweisen, insbesondere auf die dort enthaltene Definition. Anlehnung ist demnach nicht einfach mit Beizäumung gleichzusetzen. Das Ziel ist die Anlehnung an den Sitz zu erreichen, so dass die Beizäumung weitestgehend überflüssig wird. Dies ist meiner Meinung nach sowohl mit Gebiss, als auch ohne zu erreichen, die Wege unterscheiden sich halt teilweise.

 

Ich selbst bin weder Verfechter noch Gegner des gebisslosen Reitens. Wie bei vielem anderen auch bin ich grundsätzlich erstmal für alles offen. Insbesondere das Bosal ist z.B. eine wirklich tolle gebisslose Zäumung, denn keine andere Zäumung ist so variabel und vielfältig einsetzbar wie diese. Ich hab Woody nur nicht damit geritten, weil es beim Testen keinen Unterschied zu seiner bisherigen Zäumung gemacht hat und ich mir dann eben das Geld gespart hab. Wollt ihr über das Bosal allerdings mehr erfahren, empfehle ich euch die Beiträge und Online-Erklärungen von Alex Zell oder die Bücher von Jeff Sanders oder von Alfonso und Arien Aguilar. 

Insgesamt sieht man halt sowohl mit als auch ohne Gebiss schöne Bilder genau so oft wie Gruselige. Es kommt wie immer darauf an, was der Einzelne daraus macht.

 

Beide Varianten haben Vor- und Nachteile und es ist einfach eine Frage der jeweiligen Voraussetzungen und Vorlieben (von Pferd und Reiter), sowie des gewählten Ausbildungswegs.

Was ich insoweit allerdings gar nicht leiden kann ist, wenn mir jemand sagt, dass nur gebissloses Reiten pferdegerecht ist und Gebisse alle böse sind. Gerne sind das dann noch Leute, die ihre gebisslose Zäumung selbst nicht unbedingt mit Sachverstand einsetzen und so auf dem empfindlichen Nasenrücken und im ganzen Pferd einiges an Schaden anrichten. Denn sanfter sind diese Varianten nicht zwangsläufig.
Man muss halt bei jeder Zäumung wissen, wie sie wirkt und was man tut.

 

Das Gebiss hat für mich aber einige Vorteile und deshalb möchte ich euch im Folgenden einmal erklären, wie mein Ausbildungsweg bei Woody in Bezug auf die Zäumung aussieht und warum er bei ihm jetzt so aussieht. Dieses Vorgehen hat nicht den Anspruch das einzig Wahre zu sein, sondern beruht lediglich auf meinen eigenen Erfahrungen mit diesem Pferd. Mit einem anderen Pferd sähe es vielleicht auch schon wieder anders aus.

 

Am Anfang gebisslos

Wer unsere ersten Reitbilder kennt, der weiß, dass Woody die ersten Wochen tatsächlich gebisslos mit mir unterwegs war. Wir haben einen Kappzaum, der die Möglichkeit hat rechts und links Zügel zu befestigen und diese Möglichkeit habe ich damals genutzt. Den Kappzaum kannte Woody schließlich schon seine gesamte Ausbildung vom Boden lang.

 

Warum war ich anfangs gebisslos unterwegs?

Ganz einfach, weil das Maul des Pferdes heilig ist und nicht verdorben werden soll. Erst recht sollte nicht ausgerechnet bei den ersten Malen mit Reiter auf dem Rücken eine negative Verknüpfung riskiert werden. Und da man auch bei bester Vorbereitung am Boden nie ganz genau weiß, was die ersten Male alles passiert, gehe ich da lieber auf Nummer sicher; vielleicht muss ich ja doch mal etwas intensiver Lenken und das dann bitte nicht direkt mit Gebiss im Maul. (Wer später feine Hilfen am Gebiss geben will, sollte aus demselben Grund übrigens auch nicht am Gebiss longieren.)

 

Die gebisslose Phase dauert bei uns aber nur wenige Wochen in denen ich nicht annährend täglich im Sattel sitze. Das Pony lernt mich in dieser Zeit erstmal eher als passiven Ballast kennen, der ihn nicht groß stört.

Ich versuche zwar dabei schon über Gewichtsverlagerungen zu lenken und probiere Gas und Bremse an Sitz und Bein aus, allerdings ohne die Haltung des Pferdes zu beeinflussen. Das Pferd darf anfangs erstmal so laufen wie es ihm gefällt, ob nun auseinandergefallen oder nicht. Ich will zumindest ganz am Anfang noch nicht viel stören und dem Pferd die Möglichkeit geben sich unter mir einfach nur möglichst wohl zu fühlen. Die Hand spielt somit erstmal gar keine Rolle und greift nur im Notfall mal ein, dann halt wie zuvor bereits gesagt lieber ohne Gebiss.

 

Mehrere Jahre Grundausbildung mit Trense

Nach kurzer Zeit kommt dann aber auch schon die Trense zum Einsatz (natürlich nachdem das Pferd am Boden mit ihr vertraut gemacht wurde). In Woodys Fall handelt es sich um eine Variante mit einfach gebrochenen Gebiss und ohne die vielen unnötigen Riemen am Kopf.

 

Welches Gebiss das Richtige ist, ist allerdings leider auch wieder so eine Glaubensfrage. Ich mag die einfachgebrochene Variante deshalb, weil ich damit erstmal eine schön getrennte Einwirkung rechts und links vornehmen kann.

Da meine Hand nie rückwärts wirkt, sondern wenn nach oben, wirke ich damit auf die Maulwinkel ein und nicht auf Laden und Zunge. So kann es auch nicht zum so gefürchteten Nussknackereffekt kommen, diesen hat man nämlich nur bei unsachgemäßer Handhabung.
Wichtig ist natürlich die richtige Länge und Stärke zu haben. Man sagt zwar, dass die dünneren Gebisse etwas „schärfer“ sind, aber das ist meiner Meinung nach ja nur der Fall, wenn ich diese wirklich mit Kraft auf die Laden ziehe, was man sowieso nicht tun sollte. Woody hat jedenfalls von Anfang an ein eher dünneres Gebiss, da er im Maul auch gar nicht so viel Platz hat, da wäre dicker eher störend.

 

Warum aber nun überhaupt das Gebiss?

Es ist halt leider so, dass kein Pferd der Welt von sich aus eine Position einnehmen wird, in der es lange gesund geritten werden kann. Das Pferd macht sich verständlicherweise das Tragen der Last erstmal so bequem wie möglich und versucht das auch so energiesparend wie möglich. Deshalb muss ich, so bald mein Pferd mich entspannt (er)trägt, anfangen es zu formen. Ich muss es ausbilden und gymnastizieren, damit es in die Lage versetzt wird, das Zusatzgewicht so zu tragen, dass keine körperlichen Schäden entstehen.
Für diese Gymnastizierung hat sich für mich das Gebiss deshalb bewährt, weil ich das Pferd damit leicht zum Kauen und damit zum Lockerlassen des Kiefers animieren kann. Das ist sogar der Hauptvorteil den ich sehe, denn kaut das Pferd und lockert den Kiefer, lockert sich auch der Rest besser.
Zudem bekomme ich über das Gebiss auch entsprechende Informationen zur Hand zurück übermittelt (wenn ich es fein genug nutze und drauf achte). Das ist gebisslos meiner Meinung nach schwieriger. Es ist nicht unmöglich (siehe z.B. die Arbeit der Hofreitschule Böckeburg mit dem Bosal), aber braucht dann andere Wege. 

  

Kandarenreife

Unser Ziel ist es, am Ende der Ausbildung auf Kandare zu reiten. Allerdings wäre das zum aktuellen Ausbildungsstand kontraproduktiv, da ich Woody mit Kandare zur Zeit noch eher wieder zum Einrollen und Tieferkommen verleiten würde. Zudem sollten neue Lektionen immer erst auf der Trense geritten werden und wir haben noch sehr viele neue Lektionen vor uns.
Es wird später dann aber die im Westernbereich übliche, blanke Kandare werden, die IMMER einhändig zu führen ist. Diese Kandare gehört erst aufs Pferd, wenn ich es wirklich zuverlässig über Schenkel und Sitz führen kann, also wenn ich theoretisch mit verschränkten Armen einen Geschicklichkeitsparcours bewältigen könnte. Pferd und Reiter müssen also entsprechend weit ausgebildet sein.

 

Mir muss als Reiter vor allem auch klar sein, wie die Kandare wirkt, insbesondere, dass sie je nach Länge und Winkelung der Anzüge bis zu 32fach die Kraft verstärkt und das direkt ins empfindliche Maul. 

Das ist auch der Grund warum ich es gar nicht leiden kann, wenn Reitanfänger ein Pferd auf Kandare in die Hand bekommen - in eine Hand, die sie noch gar nicht kontrollieren können. Oder wenn ich die sog. Profis munter beidhändig in die Zügel langen sehe, um dann fleißig daran nach hinten zu zerren und rum zu rupfen. Das ist nicht Sinn der Kandare, sondern wirklich einfach nur Tierquälerei! Und das ist nur „nötig“, weil die Ausbildung dieser Reiter und die Ausbildung der Pferde absolut unzulänglich ist!

 

Jetzt könnte man natürlich sagen, dass wenn man das kandarenreife Pferd wirklich nur am Sitz reiten könnte, man doch auch gar keine Zäumung mehr benötigen würde, aber das ist so leider auch nicht ganz richtig. Es wäre schön, wenn ein solches Pferd von sich aus immer perfekt ausbalanciert und in einwandfreier Selbsthaltung durch komplette Reiteinheiten gehen könnte, aber das ist utopisch. Man muss auch das weit ausgebildete Pferd ab und an nochmal daran erinnern Haltung zu bewahren und hier und da ein wenig korrigierend/helfend eingreifen.

Die Kandare kann dann in diesem Stadium zu mehr Balance verhelfen, da das Pferd ihr Ungleichgewicht sofort auf den Laden spürt wenn es schief wird (weshalb eben auch nicht zweihändig geritten werden sollte). Zudem ermöglicht sie mir eine sehr feine und präzise Hilfengebung. 

 

Der schlechte Ruf der Kandare beruht einzig und allein auf dem häufigen Missbrauch dieser Zäumung. Viele nutzen sie auch, weil sie ihr Pferd sonst nicht halten können oder weil es ihnen sonst nie im Genick nachgibt. Dann wird die Kandare unsachgemäß als Zwangsmittel eingesetzt und so erreichen diese Leute zwar ihr Ziel, allerdings gibt das Pferd dann nicht reell nach. Es flüchtet lediglich vor dem Schmerz in eine völlig verspannte Version der vermeintlich richtigen Haltung.

Es hat seinen Grund, dass auf den berühmten Reiterstandbildern mit entsprechenden Kandaren die Zügel stets leicht durchhängen. Denn das sollten sie den Großteil der Zeit tun. Ist das nicht möglich, ist es für die blanke Kandare eindeutig zu früh!

 

Und ja, das gilt auch alles für den Westernbereich!

Da braucht mir jetzt auch keiner mit „ja aber die Cowboys“ kommen, denn die Cowboys hatten ihre Pferde nicht nur zum Spaß beim täglich einstündigen Reithalleneinsatz unter Büroarbeitern! Für die waren die Pferde ihre Arbeitsgeräte, die schnell und zuverlässig im Betrieb funktionieren mussten und nicht Lektionen in der Bahn liefen. Natürlich haben die ihre Pferde auch lange gesund erhalten wollen, aber doch unter ganz anderen Zucht-, Haltungs- und Nutzungsvoraussetzungen. Somit hinkt dieser Vergleich mal wieder stark.