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Die Seitengänge - Teil I

Einführung & Schenkelweichen

 

Warum Seitengänge?
Oft komme ich zu Schülern, die die Seitengänge mit der Aussage ablehnen, dass sie nur Freizeitreiter wären und sowieso keine Turniere reiten wollen würden. Von den Turnierreitern im Westernbereich bekomme ich hingegen oft gesagt, dass man die Seitengänge nicht bräuchte, da diese in den Westerndisziplinen nicht vorkämen.
Dabei sind Seitengänge keine Lektionen die nur fürs Dressurturnier zu Showzwecken eingeübt werden müssen. Seitengänge halten euer Pferd gesund. Sie dienen der umfassenden Gymnastizierung des Pferdes und sind wahre Alleskönner. Sie lösen, mobilisieren, richten gerade und verbessern Durchlässigkeit, Balance und Geschmeidigkeit. Zudem fördern sie die feine Hilfengebung, die Schulterfreiheit und die Hankenbeugung. Natürlich führen sie auch zur Versammlung und höheren Lektionen, aber darum geht es mir erstmal nicht. Ihr müsst vielmehr bedenken, dass ein schiefes und unausbalanciertes Pferd stets Strukturen überlastet und verschleißt. Um dies zu verhindern, müssen wir die Pferde schnellst möglich ausbalancieren und geraderichten und es gibt dazu meiner Meinung nach einfach kein besseres Mittel als die Seitengänge.

Umgekehrt komme ich auch schon mal zu in diesem Bereich bereits sehr engagierten Schülern, die die Seitengänge schon fleißig geübt haben. Allerdings haben sie diese häufig wirklich nur eingeübt um sie im Repertoire zu haben ohne ihren wirklichen Nutzen zu kennen und auszuschöpfen.
Es bringt aber nicht viel die Seitengänge in übertriebener Form (z.B. zu starkes Kreuzen oder zu viel Tempo) auszuführen damit sie möglichst spektakulär aussehen; so können sie sogar viel Schaden anrichten.
Es macht ebenfalls keinen Sinn einen Seitengang Runde um Runde durchzureiten nur damit man ihn allen gezeigt hat. So riskiert man nur, dass das Pferd fester statt lockerer wird. Das ist dann nämlich wie bei euch selbst auch: zwinge ich euch eine anstrengende Fitnessübung zu lange auszuführen werden eure Muskeln sauer werden und dichtmachen. Ihr werdet anfangen zu mogeln und euch in ungesunde Ausgleichsbewegungen flüchten. Zudem werdet ihr dieser Übung beim nächsten Mal nicht gerade positiv gegenüberstehen. Deshalb ist für mich bei den Seitengängen weniger mehr.
Ein häufiger Wechsel zwischen den verschiedenen Biegungen und Seitengängen ist meiner Erfahrung nach dann das effektivste Mittel, mit dem man die besten Ergebnisse erzielt.

Umstritten: Das Schenkelweichen
Bevor wir nun zu den richtigen Seitengängen kommen, kommen wir zunächst zum Schenkelweichen, denn das ist für mich die absolute Basisübung. Wer kein Schenkelweichen reiten kann, der sollte für mich auch nicht mit den richtigen Seitengängen beginnen, denn beim Schenkelweichen erlernen sowohl Pferd als auch Reiter erstmal die Grundlagen für die Seitengänge.

Richtige Seitengänge? Ja, das Schenkelweichen zählt offiziell nicht zu den Seitengängen, weil die FN diese wie folgt definiert: Das Pferd bewegt sich gestellt und gebogen vorwärts-seitwärts.
Dies trifft auf das Schenkelweichen nicht zu, weil das Pferd hier nämlich nur leicht gestellt, aber nicht gebogen ist. Viele klassische Reitlehren lehnen das Schenkelweichen deshalb sogar ab. Dabei hat es trotzdem so viele Vorteile: Schenkelweichen löst das Pferd und es lernt den seitwärtstreibenden Schenkel anzunehmen, sowie das Hinterbein seitwärts zu führen. Es wird zudem die Schulter geöffnet und das Becken mobilisiert. Außerdem kann es uns helfen ein Pferd von der Schulter zu bekommen auf der es gerade vielleicht hängt, in dem wir es nur kurz in die gegenüberliegende Richtung ins Schenkelweichen schicken.
Also für mich hat das Schenkelweichen somit eine eindeutige Daseinsberechtigung.

Aber was genau ist Schenkelweichen?
Beim Schenkelweichen wird das Pferd gegen die Bewegungsrichtung gestellt, aber eben nicht gebogen; der Rumpf ist also gerade. Das Pferd bewegt sich so in einer Abstellung von max. 45 Grad vorwärts-seitwärts. Wichtig dabei ist, dass die Vorhand stets führt und nicht die Hinterhand.
Das Schenkelweichen kann in allen Gangarten geritten werden.
Es kann zudem auf allen Linien frei in der Bahn geritten werden, allerdings solltet ihr es zu Beginn immer erstmal an der Bande entlang mit dem Kopf Richtung Bande üben (siehe Foto). Dadurch erspart ihr euch nämlich eine zu starke Handeinwirkungen zum Abbremsen.
Zudem ist es wie bei allen Seitengängen natürlich hilfreich den Bewegungsablauf erstmal am Boden ohne Reitergewicht einzuüben, das ist aber kein Muss.

Die Hilfengebung beim Schenkelweichen
Für das Schenkelweichen stellen wir das Pferd am inneren Zügel ganz leicht gegen die Bewegungsrichtung während der äußere Zügel aber ebenfalls ganz leichten Kontakt hält.
Mit dem inneren Schenkel treiben wir knapp hinter dem Sattelgurt seitwärts, während der äußere Schenkel verwahrend eine Handbreit hinter dem Gurt liegt (bitte nicht wegstrecken).
Dabei mit dem inneren Bein außerdem nicht dauerhaft drücken und quetschen, sondern sanfte Impulse nur mit der Wade geben. Läuft das Pferd bereits ordentlich seitwärts, sollten die Schenkelhilfen natürlich sofort aussetzen, bis sie wirklich wieder benötigt werden.

Schultern und Hüfte des Reiters sollten denen des Pferdes entsprechen, das ist eine Grundregel die immer gilt, denn euer Pferd soll eure Schultern und Hüfte schließlich spiegeln. Da Schenkelweichen auf einem geraden Pferd erfolgt, bleibe ich auch einfach gerade sitzen. Das Pferd soll ja schließlich hier nur dem Schenkel weichen wie der Name schon sagt.
Trotzdem höre ich sehr oft die Gewichtsfrage: geht das Reitergewicht in die Bewegungsrichtung (klassisch) oder gegen die Bewegungsrichtung (häufiger im Westernbereich)? Ich persönlich versuche in allen Seitengängen so mittig wie möglich sitzen zu bleiben. Da der ansonsten richtige Sitz (Schultern, Hüfte und Bein) meist mehr als genug Gewichtshilfe beinhaltet, muss man hier nicht noch aktiv zusätzlich etwas tun. Sich aktiv nochmal auf eine Seite setzen zu wollen, führt meist sogar dazu, dass man schief wird (einknickt o.ä.) und das Pferd dann auch. 
Sollte mein Pferd wirklich mal eine Anlaufschwierigkeit haben und der seitwärtstreibende Schenkel nicht ausreichen um in die gewünschte Richtung zu kommen, reicht meist ein kurzer und dezenter Bügeltritt in die Bewegungsrichtung völlig aus.

Probleme beim Schenkelweichen
Häufiger Fehler beim Schenkelweichen ist, dass die Hinterhand die Vorhand überholt und die Vorhand eben nicht mehr führt. Hier hilft es, den äußeren Zügel kurz nach außen zu öffnen.
Sollte hingegen die Hinterhand nicht genug seitwärts treten, kann auch der innere Schenkel mal kurz etwas weiter hinten einwirken und zudem die innere Zügelhand zur Seite geöffnet werden. Eine kleine halbe Parade am äußeren Zügel kann die Schulter zudem kurz bremsen und gibt der Hinterhand die Möglichkeit wieder hinterher zu kommen.
Aber egal was passiert, bitte nicht verkrampfen und die Beine immer schön lang lassen. Wenn ihr merkt, dass ihr selbst fest werdet und/oder ein Bein hoch zieht, dann löst die Übung lieber auf und fangt neu an. 

Übungsideen
Schöne Übungen für das Schenkelweichen (nachdem es an der Bande sicher erlernt wurde) sind z.B. Viereck verkleinern und vergrößern oder im Schenkelweichen immer wieder anhalten und dann ins Schenkelweichen wieder angehen.

Ihr könnt auch auf die Mittellinie abwenden und von dort aus zu verschiedenen Bahnpunkten als Ziel im Schenkelweichen reiten. Wenn ich von A nach K reite muss ich z.B. vielmehr seitwärts reiten, als wenn ich von A nach E reite. Von A nach H überwiegt dann das Vorwärts und nicht mehr das Seitwärts. So kann man mit verschiedenen Intensitäten spielen.