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Die Sache mit der Anlehnung

 

Viele Westernreiter lehnen eine Anlehnung kategorisch ab.

Es geht sogar so weit, dass namhafte Trainer in Interviews behaupten, dass die Ausbildung über die Anlehnung die Pferde zäh machen würde. Eine ziemlich kühne Behauptung, denn wenn Anlehnung Pferde zäh macht, müsste ja jedes klassisch ausgebildete Pferd zäh sein?!

Andere behaupten, dass Westernpferde diese nicht bräuchten, da die Cowboys sie bei ihrer Arbeit auch nicht benötigen würden. Aber mal ganz ehrlich, kann man unsere heutigen „Spezialzuchten“ tatsächlich mit dem normalen Ranchpferd vergleichen oder das Arbeiten in der Reithalle mit einem Viehtrieb?

Eine andere schöne Erklärung lautet, dass das Quarter Horse sich mit seiner stark bemuskelten Hinterhand von Natur aus schon selbst tragen und mehr Last auf der Hinterhand aufnehmen würde. Ja, mehr Last auf der Hinterhand hat es durch die Muskeln sicher, aber mit gesunder Selbsthaltung unter dem Reiter haben diese „Dekomuskeln“ wie ich sie gerne nenne, erstmal ziemlich wenig zu tun. Das typische Quarter Horse ist sogar häufig sehr vorhandlastig gebaut.

 

Eine endgültige Legitimation die Anlehnung zu verteufeln bekommt man als Westernreiter aber dann augenscheinlich dadurch, dass man die Ausbildungsskala genau am Punkt Anlehnung verändert hat. 

Sind wir Westernreiter uns bei Takt und Losgelassenheit mit der klassischen Szene noch völlig einig, ersetzte man den Punkt „Anlehnung“ lieber durch „Nachgiebigkeit“.

Doch ist das wirklich ein gravierender Unterschied zwischen dem Westernreiten und der klassischen Reitlehre?

Um diese Frage zu beantworten sollte man erstmal klären, was hinter beiden Begriffen steckt.

 

Kommen wir zunächst zur Anlehnung im klassischen Sinn:

Das Problem ist, dass viele denken, dass es sich dabei lediglich um eine stetige Beizäumung durch die Reiterhand handeln würde. Das stimmt allerdings nicht. Zwar ist der Zügel durchaus beteiligt, die Anlehnung selbst ist jedoch ein Gesamtbild aus aktiv fußender Hinterhand, die über den Rücken bis vorne zum Maul durchschwingt und dazu führt, dass das Pferd Dehnungsbereitschaft zeigt, die Anlehnung ans Gebiss dadurch also umgangssprachlich sucht und in dem durch den Zügel vorgegebenen Rahmen hält.

Umso mehr sich das Pferd selbst trägt, desto geringer ist dabei dann der tatsächliche Kontakt zwischen Hand und Maul. Das Ergebnis, das sich die klassische Reitlehre insoweit wünscht, ist lediglich ein Kontakt wie an einem ganz dünnen Bindfaden. Man möchte also auch hier kein Pferd, das sich auf den Zügel stützt und vom Reiter durch die Gegend getragen wird, sondern ebenfalls ein Pferd, das sich selbst trägt. Das ist schließlich auch der Grund, weshalb in Dressurprüfungen das sog. Überstreichen Bestandteil ist. Hier soll gezeigt werden, dass das Pferd in Selbsthaltung läuft und diese auch ohne Zügel halten kann. Es steht demnach also nicht an der Zügelhilfe, sondern vielmehr am Sitz und am Bein.

 

Was ist nun im Gegensatz dazu mit unserer Nachgiebigkeit?

Hierzu etwas zu finden ist leider nicht ganz so einfach wie bei der klassischen Reitlehre in der das Thema Anlehnung schon ausführlichst behandelt worden ist (und trotzdem leider gerne falsch verstanden wird).

Auf meiner Suche im Westernbereich fand ich meist nur sehr vage Umschreibungen ohne wirkliche Aussagekraft. Man erklärte immer nur, dass das Pferd den Hilfen nachgeben solle. Aber das ist nun wirklich kein Unterschied zu irgendeiner Reitweise, denn das möchten doch alle.

In den Vortragsunterlagen der Pferdewissenschaften Göttingen stieß ich dann plötzlich als Erklärung auf die „Dehnungsbereitschaft an die Reiterhand“. Wenn wir das nun mit dem zuvor zur Anlehnung genannten Ausführungen vergleichen, ist da dann wirklich noch ein Unterschied?

Meiner Meinung nach nicht. Es geht an dieser Stelle bei beiden Reitweisen doch scheinbar darum, das Pferd an die Hilfen zu stellen und so dazu zu bringen über den Rücken von hinten nach vorne zu arbeiten.

Leider verstehen viele Westernreiter unter dem irreführenden Begriff Nachgiebigkeit allerdings, dass das Pferd dem angenommenen Gebiss „weichen“ soll. Uns wird schließlich immer gepredigt, dass das Pferd jedem Druck „nachgeben und weichen“ soll. Das mit dem „Weichen“ darf man an dieser Stelle aber nicht zu wörtlich nehmen! Ich jedenfalls möchte kein Pferd, das Angst vor dem Gebiss hat und sich vor diesem versteckt in dem es der kleinsten Verbindung immer nur ausweicht. Ich möchte ein Pferd, das weiß, dass es sich hier um eine Zügelhilfe handelt; ich ihm also, wenn ich mal Verbindung zu ihm habe, lediglich Hilfe anbiete.

 

Der Hauptunterschied zwischen uns Westernreitern und der sog. englischen Variante (neben der Aufrichtung) ist doch eigentlich nur der, dass wir keine permanente Hilfengebung wollen. Wir stehen vielmehr für eine Impulsreitweise, was bedeutet, dass so bald unser Pferd auf die jeweiligen Hilfen reagiert hat und in gewünschter Position ist, wir die (meisten) Hilfen sofort aussetzen und diese auch erst wieder einsetzen, wenn sich etwas verändert hat oder verändern soll.

Wir wollen deshalb zum Ende der Ausbildung nicht mal mehr den Bindfaden als Verbindung zum Pferdemaul. Das ist allerdings das Ziel! Der Weg dahin sollte meiner Meinung nach trotzdem über Anlehnung führen und zwar inklusive der rahmenden und damit helfenden Zügelverbindung. Wenn wir diese schon von Anfang an vollständig weglassen, verlangen wir vom Pferd das Endergebnis schon an Punkt drei seiner Ausbildung und damit zu früh. Man muss sich insoweit wirklich klar machen, dass es sich hier um die Skala der AUSBILDUNG handelt und somit um den Weg zum Ziel.

 

Demnach war es aus meiner Sicht unnötig, den Punkt „Anlehnung“ durch „Nachgiebigkeit“ zu ersetzen, denn eigentlich scheint man zumindest früher mal das selbe gewollt zu haben, hat so aber Raum für Fehlinterpretationen und Fehlentwicklungen geschaffen.

Dieser Artikel soll deshalb nochmal klar machen, dass auch bei der Ausbildung (Ausbildung und nicht Abrichtung!) eines Westernpferdes Anlehnung inkl. Zügelkontakt durchaus erwünscht und sinnvoll ist.

Wie soll ich auch ein Pferd ordentlich ausbilden, das Angst vor dem Gebiss hat? Denn zu nichts anderem führt dieses sinnlose Gezupfe und Gezerre an den Zügeln welches so in Mode gekommen ist. Und wenn der Reiter eines so abgerichteten Pferdes dann doch mal für einen Seitengang oder ähnliches einen Rahmen vorgeben muss, nimmt er plötzlich doch die Zügel auf, obwohl er dem Pferd zuvor über die grobe Hand immer erklärt hat, dass es dem Gebiss ausweichen soll. Weicht das Pferd nun wie gelernt aus wird einfach noch mehr angenommen bis das Pferd den Kontakt ertragen muss; was muss das wohl für ein Gefühl für so ein Pferd sein? Wird dieses Pferd entspannt weiterlaufen können? Wohl kaum!

 

Eigentlich sieht der die Anlehnung ablehnende Westernreiter das Problem doch scheinbar allein im Zügelkontakt. Dass der Zügelkontakt jedoch in der Westernreiterei gar kein generelles No-Go ist, zeigt sich schon durch die Grundausbildung auf der Wassertrense. Wieso sollte man diese seit langer Zeit nutzen, wenn man das Pferd dem Zügeldruck von Anfang an ausweichen lassen wollen würde? Dann könnte man doch direkt das Bit einschnallen?

Noch deutlicher zeigt es sich jedoch in den Richtlinien und Regelbüchern der einzelnen Verbände. An vielen Stellen sprechen die Regeln von einem "angemessen losen Zügel ggf. mit leichtem Kontakt".

Bei der Ranch Riding geht man sogar einen Schritt weiter und schreibt: "Eine leichte Verbindung des Zügels zum Gebiss wird belohnt, ein lang durchhängender oder ständig anstehender Zügel ist nicht erwünscht." 

Nirgendwo ist also von den oft zu sehenden "drei Metern Slack" im Zügel die Rede; die Ranch Riding verbannt ihn sogar ausdrücklich. Mit diesem übertriebenem Slack im Zügel hat man auch das Problem, dass die ebenfalls überall gewünschte und beschriebene feine bis unsichtbare Hilfengebung gar nicht mehr möglich ist. Wenn ich die Hand doch erstmal mind. 30cm anheben muss um Kontakt aufzubauen ist das weder fein noch unsichtbar.

 

Wie kommt es nun aber, dass man die Anlehnung bzw. den Zügelkontakt bei uns trotzdem pauschal verteufelt und stattdessen aber leider überall wild am Gebiss zerrende Reiter sieht die dann wieder für einige Sekunden den Zügel meilenweit durchhängen lassen bevor das In-Form-Gerupfe jedoch von vorne losgeht?

Die Wurzel dieses Übels steckt meiner Meinung nach im Futuritysystem. Dieses lässt einfach nicht die notwendige Zeit ein Pferd vernünftig auszubilden und zwingt stattdessen zum Abrichten. Über dieses fragwürdige System konnte sich eine entsprechend harte Ausbildung etablieren und salonfähig machen. Man musste es nur gut verkaufen (siehe ersten Absatz) und durch die Umbenennung des Punktes Anlehnung in der Ausbildung wurde dann zusätzlich eine Möglichkeit geschaffen das zumindest auf den ersten Blick geschickt zu rechtfertigen – allerdings nur auf den Ersten.

 

Die Anlehnung inklusive Zügelrahmen soll dem jungen Pferd in seiner Ausbildung helfen irgendwann dann auch ohne diesen in schöner Selbsthaltung laufen zu können.

Natürlich kann ich das Pferd auch über viel Sporeneinsatz und Zurechtgerupfe im Maul dazu bringen den Rücken (ungesund) anzuheben und in einer auf den ersten Blick hübschen Halshaltung zu laufen. Hier machen wir aber den gravierenden Fehler, den wir den klassischen Reitern so gerne vorhalten und weshalb man sich wohl eigentlich von dem falsch interpretierten Begriff „Anlehnung“ distanzieren wollte:

Wir reiten über die Hand statt über den Sitz!

Nur weil wir den Zügel immer mal wieder durchhängen lassen, ändert sich nichts an der Tatsache, dass wir ihn dazwischen nutzen, um Kopf und Hals in die von uns gewünschte Position zu zwängen.

Wir „produzieren“ so aber psychisch völlig überforderte Pferde, die nicht mitarbeiten, sondern lediglich ihr Programm abspulen. Pferde, die ggf. zwar sogar noch ihren Rücken wie einen Katzenbuckel heben, jedoch nicht den viel wichtigeren Widerrist.

 

Ich appelliere deshalb hier nochmal ausdrücklich an die Verbände, sich doch noch einmal mit der Skala der Ausbildung im Westernbereich eingehender zu beschäftigen und die Begrifflichkeiten genau und eindeutig zu klären. 

Zudem sollten die eigenen Regeln und Richtlinien sowohl im Showring im Rahmen der Bewertung, als auch schon auf den Abreiteplätzen im Rahmen der Aufsicht wirklich durchgesetzt werden. Denn wenn man sich die Regeln und Bewertungskriterien durchliest wundert man sich häufig doch sehr über das, was man dann auf den Turnierplätzen tatsächlich sieht.

Am besten wäre es natürlich, einfach damit aufzuhören das meiste Geld ins zweifelhafte Futuritysystem zu stecken. Denn ganz ehrlich, es ist einfach nicht sinnvoll unsere Pferde schon mit drei bis sechs Jahren zu sportlichen Höchstleistungen zu zwingen und sie danach schon zum alten Eisen zu zählen.

 

Und zum Schluss nur nochmal zur Klarstellung:

Natürlich möchte auch ich am Ende ein Westernpferd, welches keinen dauerhaften Zügelkontakt braucht, sondern am losen Zügel (ein solcher muss übrigens nicht durchhängen um lose zu sein) an meinen Schenkel- und Sitzhilfen läuft. Der Weg dahin dauert aber eben nicht Wochen, sondern Jahre! Denn dafür muss dieses Pferd erst entsprechend ausgebildet und trainiert werden und dafür braucht es übrigens auch einen Reiter, der eine entsprechende Hilfengebung über den Sitz überhaupt richtig einsetzen kann. Reiter, ohne genug eigene Körperspannung und ohne genug Körperbewusstsein und Balance sind gar nicht in der Lage ein Pferd am losen Zügel korrekt zu reiten. Nur wenn ich selbst ausbalanciert und in der Lage bin, die Körperspannung effektiv und bewusst einzusetzen, kann ich ein entsprechend ausgebildetes Pferd wirklich allein über Sitz und Bein ordentlich am losen Zügel reiten.

 

(Artikel veröffentlicht im "Horseman")