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Verloren im Dschungel der Hilfengebung

 

Wie oft habe ich schon Diskussionen über die „richtige Hilfengebung“ gehört, gelesen oder gar selbst führen müssen?

Ich hatte beispielsweise Reitschüler, die mich mit großen Augen angesehen haben, wenn ich gesagt habe, dass sie die Galopphilfe am äußeren Schenkel geben sollen. Dann bekam ich zu hören, dass es im Buch XY aber genau andersherum steht.

Ich sage dann gerne, dass wir dem Pferd auch beibringen könnten auf dreimaliges Ziehen an der Mähne anzugaloppieren; das sei zwar etwas umständlicher, aber auch möglich. Diese Aussage ist natürlich überspitzt, macht aber meinen Standpunkt diesbezüglich klar:

Es gibt nicht „die eine richtige Hilfengebung“!

 

Es ist doch so, dass alle unsere Reiterhilfen dem Pferd beigebracht und antrainiert werden müssen und nicht schon grundsätzlich im Repertoire des Pferdes verankert sind. Deshalb ist es auch möglich ein Pferd auf die paradoxesten Hilfen reagieren zu lassen, wenn man die Zeit investieren möchte es länger zu üben.

Besser ist es natürlich, Hilfen so leicht und verständlich wie möglich zu wählen, z.B. indem man die Reflexe des Pferdes nutzt. Doch selbst wenn man sich an diesem Grundsatz orientiert, gibt es immer noch Unterschiede. Dies liegt häufig an den völlig unterschiedlichen Endzielen der verschiedenen Disziplinen (Schenkeldruck macht das eine Pferd z.B. langsamer, das andere schneller, je nachdem wie es für was trainiert worden ist).

 

Bevor ich meinen Reitschülern sage, sie sollen die Galopphilfe wie zuvor beschrieben geben, erkundige ich mich deshalb immer erstmal, wie sie es bisher gemacht haben und gucke mir an, ob es so funktioniert. Denn wenn ein Pferd beispielsweise mit den üblichen FN-Hilfen zuverlässig und gut angaloppiert, werde ich auf keinen Fall hergehen und das bereits bestehende System umwerfen.

Für mich gilt insoweit der Grundsatz:

Richtig ist das, was funktioniert und pferdegerecht ist!

 

Jetzt kommt bezüglich der Hilfengebung aber noch ein Punkt hinzu, der zu Missverständnissen führt:

Hilfengebung ist nicht starr!

Bei Lehrbüchern ist deshalb immer zu beachten, dass darin nur das System des jeweiligen Autors zur Anwendung beim Otto-Normalpferd und Otto-Normalreiter des jeweiligen Bereichs wiedergegeben wird.

Es ist beispielsweise schön wenn jemand schreibt, dass man in einer Volte in Bewegungsrichtung sitzen und das Gewicht leicht nach innen verlagern soll. Diese Aussage ist natürlich nicht falsch und mit einem fertig ausgebildeten und ausbalancierten Pferd sicher auch gut umsetzbar. Wenn ich aber bei einem unausbalanciertem Jungpferd, das eh gerade schon wie ein Motorrad in der Kurve liegt, diese Hilfe anwende, bring ich es doch nur noch mehr aus dem Gleichgewicht. Hier wäre es viel hilfreicher, das Gewicht vielleicht mal ganz kurz nach außen zu verlagern und ihm so wieder in eine andere Balance und Bewegungsidee zu helfen.

 

Wie soll man sich nun aber im Dschungel der vielen verschiedenen Hilfen zu Recht finden?

Zunächst einmal muss man sich klar machen was die eigenen Ziele sind. Hat man sein Ziel und den grundsätzlichen Weg vor Augen sollte man sich umfassend informieren. Guckt euch insoweit verschiedene Systeme und verschiedene Trainer an und nehmt von jedem das, was bei euch und eurem Pferd gut funktioniert; das was euch möglichst leicht fällt, beiden Freude macht und in euer eigenes System passt.

In der Praxis ist es dann aber besonders wichtig, mehr nach Gefühl als mit dem Kopf zu reiten. Natürlich muss man die Theorie kennen, aber wichtiger ist es, spüren zu können, was unter einem passiert. Ich habe das Gefühl, dass das bei der ganzen Informationsflut die uns Reitern mittlerweile zur Verfügung steht leider oft verloren geht. Achtet auf die Rückmeldung eurer Pferde. Spürt wo euer Pferd gerade Unterstützung braucht und gebt dann die entsprechende Hilfe, ob sie nun dem Lehrbuch entspricht oder nicht.

 

Und das Wichtigste zum Schluss:

Es gibt zwar nicht die eine richtige Hilfengebung, es gibt aber eindeutig die Falsche!

„Hilfen“ die auf Zwang und Gewalt beruhen, haben im Umgang mit dem Pferd nichts zu suchen.