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Hilfe, mein Pferd ist hinter der Senkrechten

 

Also erstmal vorab zur Klarstellung: Das soll sicher kein Plädoyer für die Rollkur werden und nicht beschönigen, was viele Pferde im täglichen Training erleiden müssen, wenn sie mit harter Hand zusammengezogen werden. Das ist und bleibt natürlich ein absolutes No-Go!

 

Nur leider führt die (durchaus berechtigte) Kritik an diesen Dingen zu folgendem Problem: So bald im Netz irgendwo ein Bild auftaucht, auf dem ein Pferd auch nur leicht hinter der Senkrechten geht oder sich tatsächlich sogar einrollt, geht die Hetzjagd los. Sofort schreien alle „Tierquäler“ ohne richtig hinzusehen und die Hintergründe zu kennen. Das führt wiederrum dazu, dass die meisten versuchen diese Bilder konsequent zu vermeiden und dass eben nicht nur auf geposteten Fotos, sondern auch beim täglichen Reiten zu Hause wo es schließlich tuschelnde Bandentrolle sehen könnten. Viele Reiter sind dadurch mittlerweile völlig verunsichert und trainieren nicht mehr so konsequent wie es eigentlich nötig wäre. 

Ich möchte euch deshalb mit diesem Beitrag dazu bringen das Ganze wieder etwas differenzierter zu sehen.

 

Grundsätzlich ist es natürlich schön, dass die meisten pferdefreundlich reiten wollen, nur kann man gerade in der Grundausbildung eines Pferdes nicht erwarten, dass es direkt und dauerhaft in der perfekten Position läuft. Die Leute wollen insoweit das Idealbild am liebsten schon die gesamte Ausbildung lang sehen und das geht einfach nicht. Eine Ballerina muss sich doch auch erst über Jahre die richtige Balance, die richtigen Muskeln und vieles mehr erarbeiten, bevor sie ein entsprechend schönes Bild beim gesamten Tanz abgeben kann. 

Neben dem Ausbildungsstand und der Vorgeschichte des Pferdes (ist es vielleicht ein Korrekturpferd was zuvor tatsächlich ständig über die Rollkur trainiert wurde?) spielt zudem der Körperbau eine ganz entscheidende Rolle. Pferde mit leichtem Genick, tief angesetztem und sehr langem Hals oder sogar von Natur aus schon geschwungenem Hals rollen sich wesentlich schneller und gerne auch mal ganz von selbst ein.

 

Mein Pferd Woody ist da das perfekte Beispiel: Sein tiefer Halsansatz und ein sehr leichtes Genick stellen eine große Herausforderung dar. Hinzu kommen (wie bei den meisten anderen Pferden auch) noch andere, nicht dem Ideal entsprechende Dinge wie ein langer Rücken, die überbaute Hinterhand und eine wirklich schwer zu stabilisierende Oberlinie. Einrollen kann er dementsprechend gut, auch am losen Zügel oder gar frei laufend - alles machbar wie auch das Foto zeigt (leider nur von vorne aufgenommen); auf dem Foto rollt er sich gerade am völlig losen Zügel auf, weil es ihm einfach schwer fällt die Kraft aufzubringen die Steigung hinauf zu klettern. 

Woody bringt mich gerade oft zur Verzweiflung wenn er in einem Moment noch schön läuft und im nächsten Moment schon wieder abtaucht. Manchmal bekomm ich ihn schnell wieder aus dieser Position, manchmal aber auch nicht. Da heißt es dann leider Augen zu und durch.

 

Natürlich ist es weder schön noch richtig wenn Woody sich einrollt, aber das Problem liegt hier nicht allein in der Kopf-Hals-Position, sondern eher in Hinterhand und Rücken (wie übrigens bei Pferden die über dem Zügel laufen auch). Wir müssen unseren Fokus von der Kopf-Hals-Position wegbringen und auf den Motor, also die Hinterhand, sowie den Rücken setzen. Die Kopf-Hals-Position ist eigentlich nur ein Nebenprodukt des Rests => hab ich den Rest im Griff bekomm ich eine schöne Kopf-Hals-Haltung geschenkt. 

In diesem Fall bedeutet das: Schaffe ich es, die Hinterbeine ordentlich unter den Schwerpunkt zu setzen und zu beugen, wird mein Pferd sich aufrichten und wieder vorstrecken.  

Also: kommt der Kopf in eine ungewünschte Position (egal ob zu hoch oder zu tief) dürft ihr das natürlich nicht völlig ignorieren aber bleibt erstmal locker und analysiert die Situation. Denkt dann daran, dass das nur ein Symptom ist und beginnt lieber die Ursache zu suchen und abzustellen, statt nur das Symptom zu bekämpfen.

  

Was aber genau tun, wenn sich mein Pferd dauernd einrollt, ohne dass es an einer zu harten Hand liegt? 

Es macht insoweit jedenfalls keinen Sinn sofort die Zügel wegzuwerfen wenn sich das Pferd mal hinter die Senkrechte begibt. Das wäre sogar ein großer Fehler, denn es gibt keinen besseren Weg dem Pferd das Einrollen dauerhaft beizubringen. Das Pferd lernt durch das Loslassen in diesem Moment nämlich nur, dass es seine Ruhe hat, wenn es sich einrollt, somit muss Einrollen aus Sicht des Pferdes richtig sein. 

Ihr müsst vielmehr eine (leichte) Verbindung halten und wie gesagt die Hinterbeine unter den Körper bringen um Gewicht aufzunehmen. Die Ursache ist nämliche mangelnde Kraft, Balance und Stabilität. Hier geht es also um die komplette Ausbildung eures Pferdes und die dauert. Also lächelt die Bandentrolle an und reitet einfach weiter, am besten folgende Übungen:

  

- Viel Schenkelweichen und Seitengänge die so variiert werden, dass das Pferd das Gewicht immer wieder von einer auf die andere Seite verlagern muss

  

- Vor- und/oder Hinterhandwendungen nach links und rechts

  

- Zickzack-Linien durch die Halle

   

Zudem kann es helfen mal einhändig zu reiten um zu kontrollieren, ob man nicht doch vielleicht unbewusst zu viel am (meist inneren) Zügel hängt. 

Wer gerne mit inneren Bildern arbeitet kann versuchen sich vorzustellen, dass die Zügel zwei Stäbe sind, mit denen man das Maul nach vorne schiebt. 

Fehlt noch sehr viel Kraft und Muskulatur wäre zudem ein aufbauendes Bodenarbeitsprogramm sinnvoll.

  

Arbeitet jedenfalls ganz in Ruhe an diesem Problem und achtet nicht so sehr darauf was andere zu kurzen Ausschnitten sagen könnten. Hört lieber auf euer Pferd und euer Bauchgefühl und plant die Ausbildung und das tägliche Training sinnvoll durch statt nur irgendwelche Figuren abzuspulen. 

Wenn ihr sehr unsicher seid ob euer Weg stimmt geht auf jeden Fall zum Trainer eures Vertrauens, aber hört nicht auf das Gerede der Banden- und Internettrolle, die meist eben nicht auf mehr achten, als auf die eigentlich zweitrangige Kopf-Hals-Position. 

Gebt euch und eurem Pferd genug Zeit zu lernen und Dinge zu verbessern. Probleme verschwinden selten von heute auf morgen wenn sie tatsächlich an der Wurzel behoben und nicht nur kaschiert werden sollen.

  

Wenn ihr demnächst wieder ein Bild betrachtet auf dem Pferd und Reiter nicht ideal aussehen, betrachtet es lieber nochmal genauer und versucht das Gesamtbild zu analysieren bevor ihr meckert. Fragt ggf. erstmal nach bevor es Vorwürfe hagelt, sonst werden demnächst wirklich nur noch Idealbilder gezeigt die uns vorgaukeln, dass andere Bilder nie vorkommen könnten/dürften. 

Seid euch insoweit sicher, dass auch bei einem wirklich guten und harmonischen Paar unschöne Momentaufnahmen gemacht werden könnten. Ziel soll es natürlich sein, dass diese Momente immer seltener werden, aber dieses Ziel muss man erstmal erreichen.