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Die Seitengänge - Teil II

Schulterherein & Konterschulterherein

 

Das Aspirin der Reiterei
So wird das Schulterherein häufig bezeichnet. Es gilt als Wunderwaffe und Allheilmittel bei vielen Rittigkeitsproblemen. Aber warum?
Es liegt an der vielfältigen Wirkung dieser Lektion. Sie kann sowohl lösend, als auch versammelnd sein. Sie fördert Koordination und Gleichgewicht, führt zu einer gleichmäßigen Biegung im gesamten Pferdekörper und dadurch zu mehr Durchlässigkeit und Geschmeidigkeit. Sie fördert außerdem die Hankenbeugung, die Lastaufnahme des inneren Hinterbeins, die Beweglichkeit und Freiheit der Schulter, sowie das Anheben des Widerrists.
Was aber für mich im Unterricht meist am Wichtigsten ist, ist dass ich mit diesem Seitengang Schulterkontrolle erhalte und die Schulterkontrolle ist die Grundlage für korrektes Reiten. Habe ich die Kontrolle über die Schulter meines Pferdes, ist das Geraderichten nämlich schon fast ein Kinderspiel, denn ich habe stets die Möglichkeit die Schulter wieder vor die ggf. ausweichende Hinterhand zu positionieren.

Was ist Schulterherein und Konterschulterherein?
Beim Schulterherein ist das Pferd wie beim Schenkelweichen auch gegen die Bewegungsrichtung gestellt. Im Gegensatz zum Schenkelweichen ist es aber hier nicht nur gestellt, sondern auch gegen die Bewegungsrichtung gebogen. In dieser Position bewegt es sich vorwärts-seitwärts und tritt mit dem inneren Hinterbein unter den Schwerpunkt. Die Hinterhand läuft also geradeaus auf dem Hufschlag, während die Vorhand in die Bahn gestellt wird und dort versetzt weiterläuft.
Je nach Abstellungsgrad spricht man vom Reiten auf drei Hufschlägen (ca. 30 Grad; entspricht dem FN-Handbuch) oder auf vier Hufschlägen (ca. 45 Grad; barocke Variante). Den Unterschied erkennt ihr auf dem Foto: links ist Sueno auf drei Hufschlägen unterwegs, ihr seht von vorne also drei Beine, da äußeres Vorderbein und inneres Hinterbein auf derselben Linie unterwegs sind und rechts seht ihr ihn auf vier Hufschlägen und somit seht ihr alle vier Beine, weil jedes in einer eigenen Spur läuft.
Der Abstellungsgrad entscheidet insoweit auch über die Wirkung. Beim Reiten auf drei Hufschlägen wirkt der Seitengang stärker versammelnd und auf vier Hufschlägen schon lösender. Den Abstellungsgrad sollte ich stets davon abhängig machen, was das Pferd gerade braucht und das hat Wiederrum häufig auch mit seiner Schiefe zu tun (hierzu gibt es einen separaten Artikel vom 30.01.2021 auf den ich hier noch einmal hinweisen möchte). Auf der hohlen Seite bietet sich meist mehr Abstellung (4 Hufschläge) mit weniger Biegung an und auf der steifen Seite weniger Abstellung (3 Hufschläge) mit mehr Biegung.

Das Konterschulterherein ist eigentlich nichts anderes als das Schulterherein, nur wird die Schulter hierbei nicht ins Bahninnere geführt, sondern in Richtung Bande. Das geht natürlich nur, wenn ich nicht direkt auf dem ersten Hufschlag, sondern auf dem zweiten Hufschlag reite.
Das Konterschulterherein bietet sich somit auch als Vorübung für das Schulterherein an, denn hier kann ich die bremsende Wirkung der Bande wieder als anfängliche Hilfe nutzen.

Das Schulterherein kann allerdings nicht nur an der Bande geritten werden. Es kann auf allen Linien, egal ob gerade (z.B. Mittellinie) oder gebogen (z.B. Zirkel) geritten werden. Es kann im Schritt und Trab geritten werden, im Galopp wiederspricht es hingegen eher dem Bewegungsablauf, weshalb hier max. ein Schultervor anzuwenden ist.
Entsprechendes gilt für das Konterschulterherein.

Grundlagen
Wer ein Schulterherein reiten möchte, sollte mit seinem Pferd bereits in der Lage sein, Stellung und Biegung abfragen zu können. Du solltest korrekte Volten reiten können (der Anfang einer jeden Volte ist ein kurzes Schulterherein).
Bevor es dann aber ans Schulterherein geht, beginnt man zunächst mit dem Reiten des sog. Schultervor. Hierbei ist das Pferd so wenig abgestellt, dass das innere Hinterbein nur in die Spur zwischen den Vorderbeinen tritt. Es ist somit die Vorstufe des Schulterhereins.

Die Hilfengebung
Zum Einleiten des Schulterhereins dreht ihr euren Oberkörper in die Richtung, in die sich die Pferdeschulter bewegen soll. Denkt einfach wieder daran, dass die Schultern eures Pferdes eure Schultern spiegeln sollen.
Durch diese Drehung kommt der äußere Zügel leicht an den Hals und euer Pferd sollte die Schulter abwenden. Die innere Hand hilft dabei, in dem sie nach innen geöffnet wird und so den Weg freimacht. Das passiert alles ganz automatisch aus der Drehung eures Oberkörpers heraus, denn eure Zügelhände nehmt ihr dabei einfach nur entsprechend mit. Wichtig ist, dass diese Drehung und der äußere Zügel die Schulter abwenden und das Pferd hingegen nicht am inneren Zügel reingezogen wird.
Der äußere Zügel hält dann den Kontakt, begrenzt die äußere Schulter und verhindert, dass das Pferd komplett abwendet. Trotzdem muss der äußere Zügel natürlich die Stellung nach innen zulassen.  
Unterstütz wird der äußere Zügel vom inneren Schenkel, der das Pferd am Gurt seitwärts treibt und biegt, während der Äußere eine Handbreit hinterm Gurt verwahrend liegt und verhindert, dass das äußere Hinterbein ausbricht.
Beide Reiterbeine bleiben lang und werden nicht hochgezogen, die Waden treiben nur so lange nötig und wieder nur in kurzen Impulsen.

Passt auch auf, dass ihr gerade bleibt und nicht in der Hüfte einknickt. Haltet euren Kopf aufrecht und blickt zwischen den Pferdeohren hindurch.
Beim Gewicht gilt auch hier wieder: weniger ist mehr. Sollte das Pferd wirklich stocken kann eine leichte Gewichtshilfe in Bewegungsrichtung erfolgen, wobei insoweit meist ein leichter Bügeltritt ausreicht. Ansonsten versucht wieder eher mittig zum Sitzen zu kommen und euch nicht zu sehr auf die Gewichtshilfe zu fokussieren, dann stört ihr das Pferd nämlich auch am wenigsten. Durch die Körperdrehung und die Beinlage habt ihr genug Gewichtshilfe.

Probleme lösen
Das häufigste Problem ist zu Beginn, dass das Pferd die Schulter nicht von der Bande löst und einfach weiter geradeaus läuft. Das liegt häufig daran, dass versucht wird, das Pferd einfach nur am inneren Zügel rein zu ziehen und es so über die äußere Schulter weglaufen kann. Der äußere Zügel ist hier der Wichtige und nicht der Innere, das muss einem stets klar sein. Mit dem inneren Zügel müsste ich im Schulterherein später sogar nachgeben können, ohne dass dies Auswirkungen hätte. Den Kontakt am äußeren Zügel darf ich hingegen nicht völlig verlieren.
Sollte es trotz korrekter Hilfengebung anfangs schwierig sein die Schulter herein zu führen, bietet es sich an, eine Volte zu reiten und aus dieser Stellung und Biegung mitzunehmen. In dem Moment wo das Pferd den Hufschlag zur nächsten Voltenrunde verlassen will, treiben wir es dann einfach spielerisch ein paar Schritte seitwärts weiter statt es direkt vorwärts in die Volte zu lassen.

Was ebenfalls gerne passiert ist, dass die Hinterhand anfängt auszuweichen. Durch dieses Ausweichen entzieht sich das Pferd der Lastaufnahme um die es uns geht. Hier sollte kontrolliert werden ob der innere Schenkel nicht zu weit hinten einwirkt und der verwahrende Schenkel nicht versehentlich weggestreckt wird. Zudem könnte es sein, dass der Reiter in der Hüfte eingeknickt ist.

Auch kommt es gerne mal vor, dass das Pferd sich verwirft (siehe auch Sueno auf dem linken Bild). Hier sollte zunächst geprüft werden, ob beide Hände wirklich noch auf gleicher Höhe sind und vor allem auch nicht nach hinten einwirken. Die äußere Hand darf zudem nicht weiter als bis zum Mähnenkamm angelegt werden und auf keinen Fall darüber hinaus gehen.

Kommt euer Pferd ins Stocken, hebt sich raus oder macht sich eng gilt: ihr habt den Energiefluss über den Rücken verloren und solltet die Übung lieber ins Vorwärts (z.B. in eine große Volte oder einfach gerade auf die diagonale Linie auf der die Schulter schon ist) auflösen und nochmal neu anfangen. Passt beim nächsten Mal dann auf, dass ihr in einem angemessenen Tempo (weder zu schnell noch zu langsam) in die Übung hineinreitet und noch nicht zu viele Tritte am Stück verlangt (löst auf bevor es schlecht wird). Kann das Pferd die Übung noch nicht in einem flüssigen Schritt, macht sie erst recht nicht im Trab.
Zudem denkt stets an genug Abwechslung und Pausen. Überanstrengt ihr euer Pferd in solchen Übungen kann es gar nicht mehr korrekt mitarbeiten.

Übungsideen
Hier bietet es sich als einfachste Variante an, das Schulterherein immer wieder durch eine Volte in Biegungsrichtung zu unterbrechen und aus dieser neu zu starten. So kann man sich sowohl an der langen Seite entlang bewegen, als auch auf der Mittellinie oder der Diagonalen.
Bei der Mittellinie kann man die Volten dann nicht nur in Biegungsrichtung gehen, sondern hat auch Platz diese genau in die entgegengesetzte Richtung zu machen (was natürlich auch aus dem Konterschulterherein an der Bande entlang gehen würde). Dies wäre aber eine Variante für Fortgeschrittene, die dadurch immer wieder umbiegen müssen und das Pferd somit dazu bringen, das mehr Last aufnehmende Hinterbein ständig zu wechseln.

Sehr schön ist auch das Reiten von Wechseln zwischen Schulterherein und Konterschulterherein. Die Kunst dabei ist es, die Wechsel ganz weich und flüssig hinzubekommen. Das schafft ihr nur, wenn ihr euren Reitersitz entsprechend flüssig wechseln könnt und dabei nicht die Balance verliert.

Zudem kann man im Schulterherein und Konterschulterherein sehr gut mit Übergängen spielen. Ein Antraben im Konterschulterherein und nach ein paar Schritten wieder der Übergang zum Schritt erhöhen die Intensität der Lastaufnahme deutlich.
Auch aus dem Schritt zum Anhalten und wieder im Seitengang angehen ist möglich und schult Balance, Koordination und Schenkelgehorsam.

Wenn ihr das Schulterherein hingegen auf dem Zirkel reitet könntet ihr immer nach der Hälfte durch den Zirkel wechseln und erhaltet so eine Acht und mehr Abwechslung.
Wenn ihr hingegen ein aus dem Zirkel wechseln reitet, erhaltet ihr auch eine Acht. Bei dieser Variante stelle ich das Pferd dann aber nicht um. Ich wechsel somit vom Schulterherein ins Konterschulterherein ohne die Biegung zu verändern, allein durch den Handwechsel. Hier muss ich tatsächlich mal ein wenig mehr Gewichtshilfe nutzen, denn nur diese ist es die sich verändert und dem Pferd die neue Bewegungsrichtung anzeigt. Reitet diese Übung nicht zu lang um das Pferd nicht zu ermüden. Ich reite dann eher sehr große Volten statt ganze Zirkel. Die Übung verfeinert aber eure Hilfengebung und stabilisiert eure gemeinsame Balance.